Mein Lebensweg

16.01 Anno 1960

Es war ein Sonntag. 

So steht es im Geburtenbuch der Gemeinde Valley, wo in Oberdarching Haus 63 1/3 ein Kind geboren wurde. Und zwar um 9 Uhr 48.

Der Tag, an dem ich zum ersten Mal nach Luft schnappte, nicht ahnend, dass mir das im späteren Leben noch öfter passieren würde.

Der kleine Ort liegt südlich von München am Fuße des Monte Paloma (Taubenberg). Hier wuchs ich mit meinen drei älteren Schwestern auf. Außen herum gab es viele Bauernhöfe, viel Wiese und viel Wald, und einen Bach.

Bevor ich in die Schule kam, habe ich einen Engel gesehen. Obwohl ich wusste, dass er mich beschützt, hatte ich Angst. Es war ein Mann, weißes Haar, weißer Bart, weißes Kleid, mit einer unglaublich tiefen Stimme. Was er sagte, weiß ich nicht. Ich zog mir die Decke über den Kopf. Über eine längere Zeit schaute er öfter vorbei, bis ich es meiner Schwester erzählte. Seitdem zeigte er sich nicht mehr. Schade eigentlich.

Auch experimentierte ich zu dieser Zeit. Einmal tat ich Badewasserschaum in einen alten emaillierten Topf und versteckte diesen hinter dem Klo. Ich war fest davon überzeugt, dass der Schaum ein kleiner goldener Schlüssel wird. Als ich irgendwann an den Schaum dachte, fand ich nur ein wenig trübes Wasser in dem Topf. Ein Schlüsselerlebnis. Bis ich erwachsen war, habe ich es niemanden erzählt.

Meine Schulzeit verlief spielend. Das ist wohl das beste Wort dafür. Meine Mutter nahm verschiedene Pflegekinder auf, so dass wir meist um die 10 Personen zu Hause waren. Zu dieser Zeit war ich bereits vaterlos. Er starb an Silvester 1966. Meine Mutter sagte, er sei vom Himmel aus ein besserer Vater. Sie hatte Recht.

Mit Beginn der 10. Klasse zog ich nach Kassel und besuchte da die Waldorfschule. Nachdem ich ein Jahr die Grundausbildung zum Werkzeugmacher absolviert hatte, durfte ich wie besprochen mit der Erzieherausbildung beginnen. 1979 kam ich als ‚staatlich geprüfter Erzieher’ mit der mittleren Reife nach München, um das Annerkennungsjahr zu machen. In der Friedel-Eder-Schule betreute ich eine Werkgruppe mit 12 behinderten Jugendlichen. Eine schöne Zeit.

Kaum war diese vorbei, hatte ich die Pflicht, dem Vaterland zu dienen. Ich entschied mich für den Zivildienst. Das ganze Jahr vorher las ich immer wieder das Buch "Jugend ohne Gott" von Ödön von Horvath. Die Gerichtsverhandlung war zu der Zeit schwierig, da durch den Pillenknick einfach zu wenig tapfere Soldaten die deutsche Welt besiedelten. Außerdem war ein Verweigerer der Bundeswehr schnell in der Ecke der Softies, Arschausputzer oder Schwanzeinzieher. Blödsinn. Ich fand das Putzen besser, als bei der Bundeswehr zu kriechen.

Obwohl Horvaths Buch kaum etwas mit der Verhandlung zu tun hatte, vielen mir die Antworten in meinem Ernstfall bei Gericht nur so zu.

Der Richter: "Herr Feichtl, Sie führen eine Gruppe gewaltfreier Widerständler an und besetzten eine Straße. Die feindlichen Panzer wollen Ihre Leute überrollen. Würden Sie sie zum Sitzenbleiben oder zum Weglaufen auffordern?"
Antwort: "Ja, ich könnte mir so eine Gruppe vorstellen. Das Besondere an dieser wäre, dass keiner auf einen Befehl von mir warten würde, sondern wüsste, dass er selbst entscheiden muss."
Richter: "Herr Feichtl, was würden Sie tun?"
Antwort: "Weglaufen"
Richter: "Warum?"
Antwort: "Ein Panzer merkt nicht, ob er über ein Auto oder über einen Menschen fährt; und wenn mich jemand umbringt, soll er mir beim Sterben zuschauen."
Richter: "Warum?"
Antwort: "Wenn jemand vom Flugzeug eine Bombe abwirft, sieht er nicht, was er angerichtet hat. Sieht man das Leid von nahem, verändert man sich vielleicht leichter." usw... Verhandlung bestanden.

Jetzt ab ins Altersheim. 300 alte Leute warten schon. Es war das volle Programm mit fast jedem Inhalt. Alter ist in der heutigen Zeit nicht erstrebenswert. Irgendwie versorgt und einsam. Wo sind die Kinder? Die 16 Monate vergingen schnell.

Gleich darauf machte ich eine Schreinerlehre. Nach der Gesellenprüfung arbeitete ich ein halbes Jahr in der Christopherus-Schule in München, anschließend ging ich nach Mannheim. Am Freien-Pädagogischen-Zentrum wurde ich zum Werklehrer ausgebildet. Eine fruchtbare Zeit. Mein neugeborener Sohn zog mit seiner Mutter zu mir nach München. Hier versorgte ich drei Jahre lang eine psychisch kranke Frau. Dann begann ich im Münchner-Kindl-Heim als Erzieher zu arbeiten. Nach knapp sechs Jahren wechselte ich und wurde freiberuflicher Bühnenbauer für Film und Fernsehen.

Ein erneuter Wechsel brachte mir die Möglichkeit, eine Außenwohngruppe für sieben Jugendliche zu eröffnen. Hier wollte ich immer bleiben. Wir waren eine herzliche Familie.

Dennoch regte sich nach ca. 5 Jahren ein anfangs unbemerkter Wunsch, als Werklehrer zu arbeiten. Als ich für meine Lebensgefährtin ein Schachspiel kaufte, passierte es. Ich ging nochmal in das Geschäft zurück und kaufte mir eine Zeitschrift mit dem Titel "Licht und Schatten". Die Zeitschrift kommt monatlich heraus und es war schon der 26. April.

Eine Anzeige einer Schule war darin enthalten, die einen Werklehrer suchte. Ich bewarb mich ohne einen Hauch Hoffnung, da ich mit der Bewerbung doch so spät dran war. Sie haben mich eingestellt. Seit 25 Jahren bin ich jetzt dabei. Nette Leute, sehr verschieden, mit unterschiedlich viel Herz.

PS.

Sollte ich einmal ein Buch schreiben, erfahrt Ihr mehr über mich.

Gernot